[sublab-announce] Fwd: Herzliche Einladung zur Finissage "psychonavigation" am Freitag, den 29. Oktober 2010 in die EEG im Westwerk Leipzig (die Tram ist wieder befahrbar)

ben ben at eexistence.de
Di Okt 19 21:16:22 CEST 2010


Hallo liebes Sublab,

hier anbei für Euch auch die Einladung zu unserer Finissage.
Wir würden uns freuen Euch zu sehen!

Liebe Grüße aus der EEG,
Ben

---------- Forwarded message ----------
From: Ariane Jedlitschka <ariane at eexistence.de>
Date: 2010/10/17
Subject: Herzliche Einladung zur Finissage "psychonavigation" am Freitag,
den 29. Oktober 2010 in die EEG im Westwerk Leipzig (die Tram ist wieder
befahrbar)
To: info at eexistence.de




ab 20:00 Uhr Westwerk, ESSENTIAL EXISTENCE GALLERY
FINISSAGE (psychonavigation)

ab 21:30 Uhr
mit Musik von
Steffen Reinhold – “die Worte”
für Gitarre, Live – Elektronik und Zuspielband
Torsten Pfeffer – “drei Blätter”
für Gitarre und Loop – Station

ab 23 Uhr Party und nettes Beisammensein
http://www.eexistence.de/news/finissage-psychonavigation

*Ausstellungstext zu "psychonavigation"*

1985 schreibt Thomas Bernhard in Alte Meister: "Die Lehrer verderben die
Schüler, das ist eine jahrhundertalte Tatsache, und die österreichischen
Lehrer insbesondere verderben in den Schülern vor allem von Anfang an den
Kunstgeschmack."

Man hat das Gefühl, die Aussteller von Psychonavigation arbeiten schon seit
Längerem daran, sich ihren verdorbenen Kunstgeschmack vom Halse zu schaffen
und mit aller Kraft einen eigenen zu erschaffen - und diesen dem verdorbenen
diametral entgegenzustellen. Rotzig, frech, mit Selbstverständnis. Die
Zeiten, in denen man mit kleinen Zeichnungen durch die Cafehäuser gezogen
ist und an die Flaneure und Melange-schlürfer verkaufte, um dann irgendwann
entdeckt zu werden und in die Salons einzuziehen, sind nicht erst seit
gestern vorbei. Dass aber die Sammler sich von ihrem von den Lehrern
verdorbenen Kunstgeschmack emanzipiert haben, das kann man hier an dieser
Stelle nicht sagen. Erfahrungsgemäß lässt sich aber feststellen, dass junge
Künstler,insofern sie es denn ernst meinen, nicht auf antiquierte abstrakte
Vermarktungsstrategien und deren personalisierte Gönner warten und hoffen
können. Der Künstler sitzt nicht mehr einsam und halbnackt in seinem Atelier
und ringt mit der leeren Leinwand, um sich dann genialistisch via Ölfarbe zu
entladen. Rudelbildung, eine Realausformung des Networking, ist ein Ansatz.
Das bringt Durchschlagskraft, Diversion, Ambiguität, finanzielle Entlastung
und Mut. So lebt das Rudel von einer Öffentlichkeit (in diesem Fall der
Kunstraum und dessen Strukturen) und produziert gleichzeitig eine
Öffentlichkeit, weil die einsame genialistische Atelierarbeit zugunsten
einer Reibung mit den Verhältnissen und anderen Künstlern aufgegeben wird.
Das mag man vielleicht nicht in den einzelnen Arbeiten entdecken, umso mehr
aber im Auftreten der ausstellenden Gruppe.

Bei allen formalen, technischen und inhaltlichen Unterschieden lässt sich
doch irgendwie ein Nenner erfühlen. Das hat man irgendwie schon im Vorfeld
der Ausstellung gespürt, als es hieß: "Die Wiener kommen." Man hat so ein
EAT THIS! schon vorausahnen können. Bis auf zwei Arbeiten stellt sich in der
gesamten Ausstellung ein Gestus ein, der dem Kunstlehrer von früher und
analog dazu der Gesellschaft, die immer noch denkt, Kunst sei ausschließlich
rechteckig und hängt an der Wand, entgegenbrüllen will. Jeder schreit auf
seine Weise, aber dieses verweigernde Angekotztsein erkennt man schon anhand
der Materialität der Ausstellung auf Anhieb. Bei Chloe Potter, Alex Ruthner
und Rade Petrasevic passiert das auf einer ästhetischen Ebene. Kerstin von
Gabain, Cut and Scrape und Björn Segschneider & Martin Grandits provozieren
durch ihre Disfunktionalitäten. Johann Neumeister verlässt den Kunstbegriff
irgendwie ganz. Panos Papadopoulos, Lilli Thießen und Hélène van Duijne
verweigern im Arbeitsprozess selbst. Nino Stelz ironisiert in seinen Motiven
so stark, dass selbst der Kunstlehrer von damals in der Arbeit "spoil"
irgendwas aus der klassischen Moderne wiedererkennen würde. Nur zwei
Arbeiten, die von Herwig Weiser und Duijines "Drome", sind einfach zu schön
und flüstern ihre Aversion nur, was die Haltung vielleicht kaschiert, aber
nicht mildert. Jedes einzelne Stück der Ausstellung hat dazu noch ganz
eigene Aussagen, Kontexte, Hintergründe, Details etc., die aber jeweils
einen eigenen Text benötigen würden.

Jede Gesellschaft hat sich immer daran zu messen, wie sie mit ihren
Künstlern umgeht. In unserer Gesellschaft stehen für Kunst und den
schwammigen Begriff der Kultur enorme Summen zur Verfügung. Zu glauben, dass
es dem einzelnen Künstler aus dieser Situation heraus finanziell genauso
geht wie Polke oder Wurm, ist ein Trugschluss. Der wirkliche Schluss ist –
es gibt immer mehr Künstler, die zusammen ein riesengroßes Kunstprekariat
bilden. Egal ob es sich nun um den Lebenskünstler in der maroden Eckkneipe
im gentrifizierten Stadtteil oder den frisch diplomierten Kunstakademiker
mit Auszeichnung handelt, die allermeisten hangeln sich irgendwie von
Projekt zu Projekt, leben von Sozialhilfe oder jobben, um in ihrer
vermeintlichen Freizeit Kunst zu produzieren. So viele Galerien und
potenzielle Verkaufsgespräche kann es gar nicht geben. Die vorhandenen
Strukturen sind gesättigt. Es bleibt also nichts anderes übrig, als genauso
weiterzumachen und gleichzeitig alles anders zu machen. Und so kann an
dieser Stelle gar nicht über die (immer noch irgendwie genialistischen)
Einzelpositionen geschrieben werden, sondern über das psychonavigierende
Rudel und dessen Energiefreisetzungspotenzial. Nach eigenen Angaben kennt
sich die Gruppe aus Kneipen, der Technounterwelt und der Universität. Und es
scheint noch nicht einmal sicher, ob sie sich künstlerisch gegenseitig
respektieren. Aber sie sind Freunde und betreiben eine Cloud Intelligence,
den Aufbau eines independenten Systems zur Problemlösung und zum Ergreifen
von Gelegenheiten. Das geht über die profan-finanziellen Hürden hinaus, die
sich zusammen einfach besser lösen lassen. Genauso wenig wie es darum geht,
irgendwann mal "von seiner Kunst leben zu können", um damit einfach nur den
Produktionsapparat Kunst zu füttern, sondern darum, genug Geld zu
akquirieren, um in die Lage zu kommen, Kritik (Unterscheidungsvermögen) in
Form von ästhetischen Produkten produzieren zu können, genauso wenig geht es
bei Rudelbildung nicht ausschließlich um die Verbesserung des
Machtpotenzials, sondern auch um die Genese von Haltung und Ideen. Diese
Strategien der Zusammenarbeit, die sich in expotenziell wahnsinniger
Geschwindigkeit zum zentralen Thema unseres Zeitgeistes entwickelt haben,
spiegeln sich am plakativsten in dem Katalog wider.

Der Katalog, der in der Ausstellung ausliegt, ist auf den ersten Blick gar
kein Katalog, es ist ja auch ein Fanzine. Für mich ist es aber ein Katalog.
Punkt. Alle Arbeiten sind schön dokumentiert, grafisch professionell
präsentiert, begleitet von einem wohlgefälligen, aber doch in Ansätzen
kritischen Text von jemandem, der schon viele Katalogtexte geschrieben hat –
so stellt man sich einen Ausstellungskatalog vor. In diesem Fall liegt aber
ein telefonbuchdickes Konglomerat aus Potenzen vor. Hier stellt sich nicht
eine aktuelle oder vergangene Ausstellung vor – hier hält man ein
300-Kilogramm-Nachschlagewerk von zukünftigen Ausstellungen in der Hand. Das
ist es, was einen Katalog ausmachen sollte – man sieht, was man haben
könnte. Hier stellen Künstler aus, was sie alles produzieren oder ausstellen
könnten, aber nicht (oder noch nicht) können oder wollen, weil es einfach
strukturell (noch) nicht möglich ist oder sein soll. Das vermischt sich mit
Werbeanzeigen, von denen man nicht so recht weiß, ob es jetzt wirklich
welche sind. Die Produktion und der anschließende Übergang in eine Sammlung
oder in ein sonnenlichtgeschütztes Kunstlager ist hier gar nicht impliziert.
Das erinnert stark an Bilder-Blogs aus dem Web2.0. Scheinbar
unzusammenhängend und überladen, entstehen beim Blättern, genau wie in der
eigentlichen Ausstellung, starke assoziative Zusammenhänge, Schwellen,
Brüche, Einschnitte, Wechsel und Transformationen, die ihre Diskontinuität
nicht verschleiern, wie es ein solitäres Werk immer wieder versucht. Hier
spürt man ein Verständnis von Viralität und einen vitalen Umgang mit dem
geistigen Eigentum von anderen und wie man sich heute dazu in Beziehung
setzen kann. Es geht schon lange nicht mehr darum, wie man sein eigenes
geistiges Eigentum oder das der anderen schützen kann, sondern wie man es
miteinander verknüpft, und nicht nur auf einer assoziativ-gedachten Ebene,
sondern physikalisch. Der ganze Rest an Eigentum verbleibt im Ökonomischen,
worauf junge Künstler heute immer weniger Wert legen, weil sie keine anderen
Strukturen als die prekären gewohnt sind. Da wird man locker.

Enrico Meyer, 2010
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